Timo Tschammler, Tausendsassa der Immobilienbranche, zweifacher Vater, selbstständiger Unternehmer (London Gate), Co-Investor bei Projektentwicklungen (Mount Real Estate Capital Partners) und Berater (TwainTowers). Mit 46 Jahren blickt der Wahl-Berliner auf ein Vierteljahrhundert steile Konzern-Karriere zurück: kaufmännische Ausbildung, drei akademische Abschlüsse der Immobilienwirtschaft, diverse Stationen deutschlandweit, sieben Jahre in Paris und London. Nach Jahren als CEO, erst ab 2009 bei DTZ, heute Cushman & Wakefield sowie ab 2017 bei JLL in Deutschland, legte Timo 2020 sein Amt nieder, um sich diversen unternehmerischen Aktivitäten zu widmen.
Mit F!F sprach er über Karriere- und Lebensplanung, prägende Erfahrungen und sein Engagement als Beirat für mehr „Frauen in Führung“.
F!F: Du fühlst dich in der Immobilienbranche heimisch und verwurzelt, sagst du über dich. Wie hast du den Einstieg gefunden?
Timo Tschammler: Auf einem sehr klassischen Weg, würde ich sagen: Mein Vater hatte seine letzte berufliche Station im Immobiliensektor, als Makler, Hausverwalter und Gutachter. Als Teenager konnte ich mir dazuverdienen, indem ich bei ihm im Büro Telefondienst gemacht, Grundrisse gezeichnet oder Exposés geschrieben habe. Das waren die ersten Berührungspunkte.
Timo Tschammler, Managing Partner Mount Real Estate Capital Partners und TwainTowers
Richtung Abitur gab es drei Überlegungen: Die eine war der diplomatische Dienst. Ich halte mich auch heute noch nicht für einen besonders diplomatischen Typen. Aber das Genre interessierte mich, das Thema Ausland interessierte mich, und so war das auf meiner Liste. Die zweite Idee betrachte ich heute als ein bisschen Hollywood-geschwängert. Das war der gehobene Dienst bei der Kriminalpolizei im Bereich Profiling. Und die dritte war tatsächlich Immobilien. Beflügelt durch einen subtilen Hinweis meines Vaters, der mir einen Zeitungsausschnitt über ein duales Studium Immobilienwirtschaft an der Berufsakademie Mannheim hinlegte. Diese Mischung aus Praxisbezug und akademischer Bildung sprach mich an. Das war dann der Einstieg.
F!F: Vom Azubi und Assistent der Geschäftsführung bist du über Auslandsstationen in Paris und London rasant zum CEO aufgestiegen. War deine Karriere so planvoll, wie sie im Rückblick aussieht?
Timo Tschammler: Mein Karriereweg war tatsächlich relativ planmäßig, zum Glück. Mein ursprüngliches Ziel war es, nach dem Studium ins Ausland zu gehen und dann diese Erfahrungen mit einer Deutschland-Rückkehr und einer entsprechend gehobenen Position in der Geschäftsführung, als CEO zu krönen. Der Plan war also existent.
„Planen, soweit man klar sieht. Dann Chancen suchen, abwägen und hoffentlich intelligent entscheiden.“
F!F: Würdest du es weiter empfehlen, so planvoll vorzugehen?
Timo Tschammler: Braucht eine Frau, ein Mann auf dem Karriere- und Lebensweg einen Plan, eine Strategie? Ich würde sagen: Auf jeden Fall, ja! Und wenn man seinen Master-Plan auf kleinere Schritte in den nächsten Jahren runterbricht, wird der Weg einfacher. Ich habe mir das immer vorgestellt wie eine Sprossenleiter. Ich wusste, da ganz oben möchte ich hin. Aber ich sehe nur die nächste Sprosse, vielleicht noch die nächsten zwei oder drei. Danach wird es ein bisschen diesig. Aber wenn ich die nächste Sprosse genommen habe, sehe ich wieder klarer.
Hinzu kommt die Chancen-Intelligenz: Wenn ich einen Plan habe, kann ich nicht zu Hause auf der Couch darauf warten, dass jemand an der Tür klingelt und mir den Plan erfüllt. Ich muss die Komfort-Zone verlassen, wie man heute sagt. Denn Chancen gehen auch mit Risiken einher. Oft musste ich abwägen. Immer wenn die Vorteile überwogen haben, habe ich die Entscheidung zugunsten der Vorteile getroffen.
Insofern, glaube ich, ist es die Mischung: Planen, soweit man klar sieht. Dann Chancen suchen, abwägen und hoffentlich intelligent entscheiden.
F!F: Woher kommt dein Vorwärtsstreben, denkst du?
Timo Tschammler: Ganz sicher liegen die Wurzeln dafür im Elternhaus. Sich weiter entwickeln, sich mit einem Plateau nicht für alle Zeiten zufrieden zu geben: Das haben mir beide meine Eltern mit auf den Weg gegeben. Bei meinem Vater führte der Karriereweg vom Werkzeugmacher zum Berufssoldaten, dann zum Lehrer und später in die Selbstständigkeit im Immobiliensektor. Bei meiner Mutter von der Kindergärtnerin über die Datenverarbeitung bis hin zu ihrer Selbstständigkeit in der Kosmetik.
„Ich habe Champagner-Duschen bekommen wie ein Formel-Eins-Fahrer.“
F!F: Was hat dich dabei gereizt, Führungsverantwortung zu übernehmen?
Timo Tschammler: Die ersten Führungsaufgaben kamen eigentlich nicht erst im Berufsleben auf mich zu, sondern schon früher im Kleinen: als Klassensprecher, als Jahrgangsstufensprecher, dann mehrfach als Schülersprecher und so weiter. Ich hoffe, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter später in mir das Gleiche gesehen haben wie diejenigen, die in jungen Jahren gesagt haben: Wenn ich meine Interessen vertreten sehen möchte und mich hinter einer Person wohl fühlen soll, dann ist es der und dem gebe ich meine Stimme.
Sicherlich geht es auch um Gestaltung, um Aufbau: Was finde ich vor, was ist gut, was kann man besser machen? Das hat mich immer stark motiviert. Der reine Transaktionserfolg dagegen nutzt sich ab.
F!F: Hast du die Erfahrung gemacht?
Timo Tschammler: Ja, zum Stichwort „abnutzen“: Meine größte Einzeltransaktion in Paris war damals gleichzeitig die größte Einzeltransaktion der französischen Geschichte. Das war ein großes Gebäude für knapp eine halbe Milliarde Euro. Ich war stolz wie Bolle, habe das erste Mal richtig Geld verdient. Als ich vom Notariat kam, hat der Vorstand die gesamte Belegschaft zu einer spontanen Mitarbeiterversammlung in der Kantine einberufen. Dort habe ich Champagner-Duschen bekommen wie ein Formel-Eins-Fahrer. Vertriebserfolg par excellence, wie man sich das so stereotyp vorstellt.
Zwei, drei Jahre später war ich in London und habe die größte Transaktion meiner Karriere gemacht: ein Portfolio für über eine Milliarde Euro. Während ich bei der ersten Transaktion voller Endorphine und Adrenalin am liebsten den Konferenzraum des Notariats von innen abgeschlossen hätte, damit ja keiner der Raum verlässt, bevor der Vertrag unterschrieben ist, saß ich bei der Portfolio-Transaktion im selben Notariat im Nachbarraum, habe eine geraucht und am Telefon irgendeinen anderen Deal verhandelt. Also völlig respektlos gegenüber dem besonderen Moment der eigenen Karriere.
Die Selbsterkenntnis im Nachgang war schmerzhaft: Der Job, für den ich mich entschieden habe, erfüllt mich selbst in diesen Größenordnungen nicht mehr, und das noch vor meinem dreißigsten Lebensjahr. Da war klar, ich muss etwas ändern. So kam dann mein Wunsch nach ersten größeren Führungsaufgaben.
„Auf meinem Sideboard stand ein Hamsterrad und entfaltete seine Wirkung.“
F!F: Deinen ersten CEO-Posten bei der heutigen Gewerbeimmobilien-Beratung Cushman Wakefield hast du 2009 angetreten, mitten in der Finanzkrise.
Timo Tschammler: Ja, das Management in der Finanzkrise war nicht vergnügungssteuerpflichtig. Das war echtes Krisen- und Turnaround-Management.
Dann ging ich Jahre später von Cushman-Wakefield zu Jones Lang LaSalle, wo ich zuletzt meine zweite CEO-Rolle innehatte. Das war eine völlig andere Management-Situation: die Märkte im Aufwärtswind, Jones Lang, ganz tolles Label, super positioniert im Markt.
F!F: Trotzdem hast du vor gut zwei Jahren deinen ursprünglichen Traumjob aufgegeben. Was war der Ausschlag?
Timo Tschammler: Als Azubi war Jones Lang für mich der Bentley unter den großen Beratungshäusern: Wenn ich mal groß bin, möchte ich da Chef sein... Und dann kam es tatsächlich dazu, dass dieser Traum und dieser Plan sich materialisierten.
Aber über die Jahre merkte ich, dass mich auch diese Rolle nicht mehr erfüllt. Das war ein langer, schleichender Prozess, flankiert von vielen Diskussionen im Familienkreis und einem Geschenk meiner Frau: einem Hamsterrad, ohne Hamster. Auf meinem Sideboard bei mir zu Hause stand also ein Hamsterrad und entfaltete seine Wirkung. So dass ich mich immer öfter fragte: Machst du noch das Richtige? Oder solltest du nicht mal umdenken?
Und so entstand ein neuer Plan, richtig mit Projektordner auf dem Desktop und Zeitplan: als CEO von Jones Lang Deutschland aussteigen und was völlig anderes machen.
Dieser Plan nahm Gestalt an, und es fügte sich, dass meine Frau einen neuen Job angenommen hatte, in dem sie sich nicht so wohl fühlte. Dann haben wir beide gekündigt, unseren Lebensmittelpunkt von Frankfurt nach Berlin verlagert und eine Weltreise für ein halbes Jahr geplant. Die fiel leider dem ersten Lockdown zum Opfer. Das ist das Einzige, was mit dem neuen Lebenskapitel nicht geklappt hat.
„Ich bin super happy mit meiner Karriere. Aber ich kam zu dem Punkt, an dem ich dachte, es muss noch was Anderes geben.“
F!F: Du bist also sehr bewusst aus dem CEO-Dasein in die Selbstständigkeit gegangen.
Timo Tschammler: Ja, dieser innige Wunsch nach mehr Selbstbestimmtheit war eine ganz treibende Kraft, hin zu eigenem Unternehmer-Dasein, Investor-Dasein. Ich sage das vollkommen ohne Gram im Rückblick auf meine 25 Jahre Angestellten-Ära. Ich bin super happy mit meiner Karriere, die lief steil, ich wurde gefördert und befördert, ich habe toll verdient. Aber ich kam zu dem Punkt, an dem ich dachte, es muss noch was Anderes geben. Und dem bin ich nachgegangen. Vor einem Burnout, Herzinfarkt oder einer sonstigen Katastrophe.
F!F: Gab es da ein Schlüssel-Erlebnis?
Timo Tschammler: Ich hadere ein bisschen, weil ich unserer Unterhaltung keinen morbiden Anstrich geben will. Aber ich erzähle trotzdem eine Geschichte, die mich in diesem Kontext sehr stark geprägt hat: Meine Mutter ist leider verstorben, bevor sie 50 Jahre alt wurde. Ich war kein Kind mehr, ich war ein junger Erwachsener, aber das ist natürlich eine Erfahrung, die weh tut. Ich glaube, dass man dann viele Dinge im Leben anders betrachtet, auch seine eigene Lebensgestaltung.
Es gibt viele Bücher zum Thema Sterben und der Frage, was sterbende Menschen am Ende ihres Lebens am meisten bereuen. Und die Antwort ist sicher nicht, hätte ich doch noch zehn Stunden pro Woche mehr gearbeitet, noch einen Titel mehr oder hunderttausend mehr auf dem Konto. Das ist am Ende nebensächlich.
Wenn man also die Möglichkeit hat, in seinem eigenen Leben anders zu handeln und es trotzdem nicht tut aus Bequemlichkeit, aus Angst vor Entscheidungen, ist das fahrlässig! Man muss sich doch fragen: Was müsste zwischen heute und meinem Lebensende geschehen, damit ich sage: Alles richtig gemacht.
F!F: Ihr seid vor zwei Jahren zum ersten Mal Eltern geworden. Haben sich auch damit die Prioritäten verschoben?
Timo Tschammler: Klar. Alle, die mal in den Genuss des Elterndaseins gekommen sind, wissen, welche Änderung das mit sich bringt. Und es verschiebt auch die Perspektiven: Für den Rückblick am Lebensende spielt Zeit mit der Familie, etwas für Andere getan zu haben, eine ganz universelle Rolle. Jetzt habe ich ja eine viel höhere Flexibilität als im CEO-Angestellten-Dasein, um mich als Vater einzubringen.
„Es gibt strukturelle Hürden, die man als Unternehmen, als Gesellschaft angehen muss. Und die Barrikaden in den Köpfen.“
F!F: Haben euch da die Corona-Monate sogar zugespielt?
Timo Tschammler: Ja, das muss man auch mal sagen: Wir hatten unsere Jobs aufgegeben, unsere Weltreise platzte, und stattdessen gingen alle in den Corona-Lockdown. Hatte natürlich zur Folge, dass meine Frau und ich die Zeit der Schwangerschaft und als junge Familie viel bewusster miteinander erleben durften.
Wie oft saß ich vor der Kamera mit meinem kleinen Sohn auf dem Schoß und habe mich dafür entschuldigt, dass ich es gerade nicht anders gelöst bekomme. Ich dachte, der Video-Call passt noch in seinen Mittagsschlaf und so weiter. Eine Liberalisierung in dem Kontext hat uns allen gut getan.
F!F: Du engagierst dich für mehr „Frauen in Führung“. Hängt das auch mit deinen persönlichen Erfahrungen zusammen: Man kann nicht nur auf Selbstregulierung warten?
Timo Tschammler: So sehe ich das. Wenn ich auf 25 Jahre im Immobiliensektor zurückblicke, war und ist er männlich geprägt, gerade in den besser verdienenden Positionen und höheren Führungsetagen. Da liegt noch ein weiter Weg vor uns.
Ich habe mich bis zuletzt geärgert, wenn wir größere Personalsuchen in den Führungsebenen hatten und die Listen von den Headhuntern kamen. Ich habe mich gefragt: Ist der Talent-Pool tatsächlich männlich? Ist einfach die Quantität eher männlich, nicht die Qualität? Haben die Headhunter eine Brille auf? Habe ich den Eindruck vermittelt, dass das jetzt bitte primär Männer sein sollen? Woran liegt es?
Dann habe ich versucht, einen Teil der Honorierung der Headhunter darauf abzustellen, dass die Liste der Kandidat:innen ungefähr paritätisch männlich-weiblich ist. Keine Chance, das hinzubekommen! Wir haben es oft probiert. Da spürt man Hürden jenseits dieses Vorwurfs, das ist eine geschlossene Männergesellschaft, die wollen uns nicht dabei haben... Natürlich, jedes Klischee hat seine Wurzeln. Aber es gibt auch formelle Hürden, die man als Unternehmen, als Gesellschaft angehen muss. Und die Barrikaden in den Köpfen. Stichwort Elternzeit für Männer: Ich erinnere mich an verdutzte Gesichter, als die ersten Kollegen die Vätermonate einforderten.
Insofern motiviert mich als F!F-Beirat einerseits die Erfahrung im geschäftlichen Umfeld, an vielen Stellen nicht besser voran zu kommen. Aber auch im privaten Kontext möchte ich, dass meine Frau, meine Tochter, die demnächst das Licht der Welt erblickt, die Frauen in meiner Familie und in meinem Freundeskreis eine bessere Chancenwelt, eine größere Freiheit erleben als die Generationen vor ihnen. Das möchte ich für Männer im Übrigen auch: mehr Flexibilität, mehr Zeit für das, was einem im Leben wichtig ist.
Das Interview führte Liane Borghardt.
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