Robert Franken berät Unternehmen und Organisationen zu Organisationskultur, Transformation und Diversity. Seine These: Männer besitzen überdurchschnittlich viel Macht, Einfluss und Geld. Daraus entsteht eine Verantwortung für die Veränderung von Systemen, hin zu mehr Gerechtigkeit und Vielfalt. Dafür sensibilisiert der 47-Jährige in seiner Beratung ebenso wie in Impulsvorträgen, Podiumsdiskussionen oder in seinem Blog „Digitale Tanzformation“. Bevor Robert sich vor sechs Jahren selbstständig machte, war er CEO des Food-Portals Chefkoch.de sowie Vorstand der Familien-Community urbia.de. Der gebürtige Franke ist Mitgründer der Plattform „Male Feminists Europe“ und ehrenamtlicher Botschafter der Initiative „HeForShe Deutschland“. Er ist Vater eines Sohnes lebt mit seiner Familie in Köln.
Robert Franken, Foto: © Martina Goyert
F!F: Du bezeichnest dich als männlicher Feminist. Was bedeutet das für dich?
Robert Franken: Male Feminist zu sein, heißt für mich zunächst einmal anzuerkennen, dass es strukturelle Diskriminierung von Frauen gibt. Als sprichwörtlich älterer, weißer Mann versuche ich, sensibel an diese Themen heranzugehen und Perspektivwechsel einzuleiten.
F!F: Gab es Schlüsselerlebnisse, die dich dazu bewegt haben, für mehr Chancengerechtigkeit einzutreten?
Robert Franken: Als Teil einer normativen Mehrheit habe ich lange eine gewisse Privilegien-Arroganz mit mir herum getragen. Will heißen: Ich habe lange gedacht, die Welt sei gerecht. Die Gesetze verbieten Diskriminierung, und es ist doch für alle ok. Das Aussteigen aus dieser Ignoranz ist nicht einfach. Das ist ja das Perfide an unserem patriarchalen System: Ich profitiere als Mann automatisch davon, selbst wenn ich das System ablehnen würde. Was mich bewegt hat: Schilderungen zu hören und festzustellen, dass ein- und dieselbe Situation völlig unterschiedlich beurteilt wird. Und daraus zu schließen, dass man in seiner Wahrnehmung weiße Flecken hat.
F!F: Du hast ein Familienportal geleitet. Da hast du vermutlich geballt Einblicke erhalten.
Robert Franken: Ich hatte das Glück viel darüber mitzubekommen, wie Menschen in unseren Systemen klar kommen oder eben nicht. Und dann schärft sich sukzessive die eigene Wahrnehmung. Die Frage ist, was macht man daraus? Wir haben ja kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Daraus eine Transformation abzuleiten und zu begleiten, mit dem Ziel, die Teilhabe von viel mehr Menschen sicherzustellen: Das hat mich interessiert.
„Wo ich als Arbeitgeber flexibel bin, bekomme ich diese Flexibilität in der Regel zurück.“
F!F: Was hast du über weibliche Perspektiven aufs Berufsleben gelernt?
Robert Franken: Es gab zwei Perspektiven. Einmal die der Userinnen in der Community, die über ihre Erfahrungen berichtet haben zu Themen wie Kinderwunsch, Schwangerschaft, Baby. Diese Lebensentscheidungen waren alle mit Hindernissen im beruflichen oder im partnerschaftlichen Umfeld verbunden. Die andere Perspektive war die der Mitarbeitenden der Firma, die ich geleitet habe, viele von ihnen Mütter in Teilzeit. Und ich habe festgestellt, wie groß bei ihnen der Wunsch nach Flexibilität ist. Die ist für jeden Arbeitgeber erst mal lästig. Jedes Schuljahr wurde neu verhandelt. Irgendwann habe ich gesagt: Organisiert euch untereinander. Erst wenn Lücken entstehen, suchen wir nach anderen Lösungen. Das war einerseits ein pragmatischer Ansatz, der mir als Vorgesetzter Mühe erspart hat, andererseits auch einen Freiheitsgrad installiert hat. Beim Thema Vereinbarkeit geht es ja nicht nur um Familie und Kinder, sondern auch um andere Bedürfnisse. Wenn Mitarbeitende auf mich zugekommen sind, habe ich das immer als positiv wahrgenommen. Flexibilität ist keine Einbahnstraße. Wo ich als Arbeitgeber flexibel bin, bekomme ich diese Flexibilität in der Regel zurück.
F!F: Also mehr an Arbeitsergebnisse denken als in Arbeitsstunden?
Robert Franken: Ich fand Diskussionen um Voll- und Teilzeit immer albern. Es geht doch um die Deskonstruktion bestimmter Arbeitszeitparadigmen. Warum sollte ein Achtstunden-Tag normativ sein?
„Die Be- und Überlastung, insbesondere der Mütter, war schwer aushaltbar.“
F!F: Warum konntest du die private Situation von Mitarbeiter:innen nicht einfach ignorieren, nach dem Motto: Dienst ist Dienst…
Robert Franken: Mir ist das Thema Fürsorge stark aufgefallen: Also es hing sehr an den Frauen und Müttern, die Care-Arbeit zu organisieren und zu leisten. Was heute als „Mental Load“ bezeichnet wird, war immer spürbar. Man musste sich als Arbeitgeber auf das Thema einlassen. Wir reden ganz viel über Organisationskultur. Wenn ein Arbeitgeber die Ambition hat, die Rahmenbedingungen möglichst barrierefrei zu gestalten, kommen wir dem Thema Vielfalt und Inclusion schon ein Stückchen näher. Viele lehnen diese Verantwortung ab und glauben, sie hätten ihre Sorgfaltspflicht mit dem Gehalt abgegolten. Auch da konnte ich aus der Community viel über Missstände lernen. Die Be- und Überlastung, insbesondere der Mütter, war schwer aushaltbar.
F!F: Wie kann man diese Überlastung als Paar vermeiden – oder persönlich gefragt: Wie macht ihr es?
Robert Franken: Grundsätzlich wollen wir im Austausch darüber bleiben, wem es wie geht. Wir sind zu dritt, das heißt, wir müssen den Blick auf jede dieser drei Personen richten: Leidet jemand in der aktuellen Situation? Dann müssen wir nachjustieren. Der Spiegel hatte vor einigen Monaten diesen Titel über angebliches Maternal Gate Keeping…
F!F: …dass die Frauen die Familienarbeit der Männer gar nicht zulassen.
Robert Franken: Das ist natürlich ein Schein-Argument. Man muss miteinander sprechen: Wie stellst du dir das vor? Die einzelnen dieser Mikro-Tätigkeiten führen ja nicht zur Überlastung. Aber die Summe macht es. Und die Frage ist, wer trägt welche Summe, etwa im Hinblick auf Haushalt oder Kindererziehung. Da gibt es Möglichkeiten, sich als Mann mal zu hinterfragen. Und es sich nicht zu einfach machen, weil eine Person das eher übernimmt. Überwiegend die Mütter, weil sie so sozialisiert wurden. Sich zurücklehnen und sagen, das ist doch ganz angenehm – gefährlich.
„Der Abbau von strukturellen Hindernissen ist das Wachstumspotenzial. Nicht die ausgerufene Steigerung von Schlagzahlen.“
F!F: Wie erklärst du, was du als Diversity-Berater machst?
Robert Franken: Ich versuche, Menschen in Unternehmen dabei zu helfen, Hindernisse abzubauen, um ihr Potenzial zu entfalten. Der Abbau von strukturellen Hindernissen ist das Wachstumspotenzial. Nicht die ausgerufene Steigerung von Schlagzahlen. Dabei mache ich auch eine Art Empathie-Training mit den Leuten. Ich versuche, ihre Wahrnehmung für die Lebensrealitäten von Menschen zu schärfen, die anders sind als sie. Ich versuche zu erklären, dass bestimmte Systeme wie Patriarchat oder Rassismus Hierarchien ausbilden, die eine Gruppe von Menschen auf- und die andere abwerten. Und dass wir dieses Bewusstsein brauchen, damit wir Chancengerechtigkeit herstellen können. Das geht nicht über zwei, drei gut gemeinte Maßnahmen. Wenn wir von Kulturwandel sprechen, haben wir eine Zeitdimension von fünf bis zehn Jahren oder länger im Blick.
F!F: Womit fängst du an?
Robert Franken: Zuerst muss ich das Top-Management für diese Themen sensibilisieren. Denn das größte Hindernis ist die Nicht-Beteiligung der Top-Entscheider, ich spreche mal im generischen Maskulinum. Wenn sie glauben, sie können die Themen an die Personalabteilung delegieren, ist das Scheitern programmiert. Dann folgt eine Analyse des Status Quo: Ich führe ausreichend qualitative Interviews, um auf Glaubenssätze in einer Organisation zu kommen. So dass wir einen gemeinsamen Betrachtungsgegenstand haben. Dann können wir darüber reden: Wo wollen wir hin? Auf welche Art und Weise?
„Meine These ist, dass es sehr vielen Männern nicht gut geht.“
F!F: Was zeichnet den Status Quo zum Beispiel aus?
Robert Franken: Wenn ich Männer beschreiben lasse, unter welchem System sie leiden und bitte dann eine andere Gruppe von Menschen, einen Namen für diese Beschreibungen zu finden: Dann steht oft das Wort Patriarchat darüber. Das würden diese Männer wahrscheinlich selber nicht so bezeichnen.
F!F: Worunter leiden die Männer?
Robert Franken: Meine These ist, dass es sehr vielen Männern nicht gut geht. In meiner Altersgruppe haben Viele gesundheitliche Probleme, ein Partnerschafts-Thema, sind dissoziiert von Freundinnen, Freunden, Familie. Ein Schweizer Manager von einer großen Versicherung hat einmal erklärt, Männer hätten weniger Optionen als Frauen: Es gehe immer um Status-Erwerb, um Karriere als Status-Erwerbs-Quelle. Und dadurch erst Attraktivität für Partnerschaft und Zugang zu Kind, Familie. Also es muss immer vorwärts gehen, über Schmerzgrenzen hinweg. Das macht Menschen kaputt. Wenn sie keinen Plan B oder C haben, weil ihnen keine anderen Rollenmuster zur Verfügung stehen.
F!F: Beim Thema Frauenquote halten Einige trotzdem lieber am Alten fest?
Robert Franken: Der Schlüssel zu einer gemeinsamen Veränderung liegt darin, auch männliche Systemerfahrungen mit in den Blick zu nehmen. Vielleicht wollen wir bei der Beantwortung der Frage, wie wir zukünftig leben und arbeiten wollen, in eine gleiche Richtung losgehen, statt diese Verlustdebatte loszutreten. Mehr Frauen in Führung macht viele Männer ängstlich: Was ist mit mir? Dabei sind Frauen ja nicht unterrepräsentiert, sondern strukturell ausgeschlossen. Wer das nicht versteht, versteht auch nicht, was für eine Zumutung es ist, als die Frau in ein reines Männer-Gremium gesetzt zu werden. Ich brauche eine kritische Masse an Frauen oder an Menschen, die eben anders sind.
F!F: Findest du also mehr Zielgrößen für mehr Vielfalt sinnvoll?
Robert Franken: Maßnahmen können quantitativer Art sein: Ich möchte Führungspositionen prozentual so und so besetzen. Aber ich muss auch die Umgebung dafür schaffen, dass die Menschen die dort über bestimmte Quoten hinein kommen, ihren Job gut machen können! Also ich tue zum Beispiel einer Führungsfrau keinen Gefallen damit, sie nur zu befördern. Mal abgesehen von der „Mental Load“, die sie in der Regel hat. Denn man erwartet ohnehin Überdurchschnittliches von ihr. Sagt sie nein, heißt es: Die Frauen wollen nicht. Ziemlich perfide. Das muss ich als Verantwortlicher in einer Organisation durchdringen.
„Es braucht eine Unternehmenskultur, die Menschen anzieht und hält.“
F!F: Unternehmenskultur klingt für Manche vielleicht eher soft, nicht nach Business.
Robert Franken: Nach dem Motto wir stehen unter keinem betriebswirtschaftlichen Druck, es läuft. Aber das wird sich signifikant ändern. Es wird viel vorgegeben werden, in welcher Art der Beteiligung bestimmte Unternehmen geführt werden dürfen. Auch der Zugang zu Kapital wird abhängig sein von Kultur, Diversity, Frauen in Führung et cetera. Das heißt, warte ich als Unternehmen darauf, bis irgendetwas reguliert wird? Oder will ich auch da vorneweg sein?
F!F: Die Zielgröße Null für Frauen in der Geschäftsführung ist somit keine gute Idee?
Robert Franken: Manche Arbeitgeber glauben noch, sich das erlauben zu können. Aber für künftigen Erfolg reicht nicht mehr nur die optimale Nutzung von Technologien und Prozessen. Es braucht eine Unternehmenskultur, die Menschen anzieht und hält. Weil sie hier einen sicheren Raum haben, in dem sie ihr Potenzial entfalten können. Entsprechende Strukturen zu bauen ist eine Business-Entscheidung.
F!F: Brauchen wir mehr männliche Feministen in den Führungsetagen?
Robert Franken: Wir brauchen mehr Männer, die es schaffen, die erste Schwelle zu überwinden, sich beleidigt und als Opfer zu fühlen. Das ist menschlich, und das kann ich verstehen. Ich erkläre immer, dass „alter weißer Mann“ nicht als individueller Vorwurf, sondern als Beschreibung einer Gruppe eines Systems gemeint ist. Ich sitze ja selbst im Glashaus. Wenn man sich dann mit Konzepten beschäftigt hat, muss man eine Entscheidung treffen: Will ich Teil einer Lösung werden oder Teil eines Problems sein?
F!F: Raus aus der persönlichen Empörung, rein in den Dialog. Danke für unser Gespräch.
Das Interview führte Liane Borghardt
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