Louisa Dellert, 32, hat schon mehr Jobs gemacht als mancher bis zur Rente: Nach dem Abi montierte die gelernte Kauffrau für Bürokommunikation im niedersächsischen Familienunternehmen Photovoltaik-Anlagen auf Dächer. Seit 2013 beschäftigt Louisa sich mit Social Media-Plattformen wie Instagram, LinkedIn, Facebook, TikTok und bespielt dort eigene Kanäle zu politischen Themen wie Chancengleichheit oder Nachhaltigkeit. Als Beraterin entwickelt sie Social Media-Strategien für Unternehmen, Verbände oder Politiker:innen. Als Moderatorin arbeitet sie zum Beispiel für die NDR-Interviewreihe „deep und deutlich“. Für ihr jüngst erschienenes Buch hat die Wahlberlinerin sich auf digitale Deutschlandreise begeben und Menschen getroffen, die aufgrund ihres Geschlecht, ihrer Behinderung oder Herkunft diskriminiert werden. Mit „F!F“ sprach sie über „Wir. Weil nicht egal sein darf, was morgen ist.“
F!F: Was hat dich angetrieben, dein Buch „Wir“ zu schreiben?
Louisa Dellert: Ich hatte in den letzten Monaten und Jahren, auch wegen Corona, immer wieder das Gefühl, dass wir im Internet oder aber am Küchentisch über viele Themen nicht mehr wirklich miteinander sprechen. Sondern nur noch übereinander. Und dabei schnell die Meinung von Menschen übernehmen, die selbst gar nicht von einer bestimmten Thematik betroffen sind.
F!F: Du hast du dich deshalb zum Beispiel mit Marvin, der im Rollstuhl sitzt, und seiner Frau Kathrin zum Online-Gespräch verabredet, sozusagen am digitalen Küchentisch.
Louisa Dellert, Moderatorin, Podcasterin und Social-Media-Beraterin
Foto: © Urban Zintel
„Eigentlich wollte ich die Menschen vor Ort besuchen. Aber das ging wegen Corona nicht.“
Louisa Dellert: Genau, mir war es wichtig, zu unterschiedlichen Themenkomplexen nachzufragen: Wie geht es denn den Betroffenen? Vielleicht muss man sich erst mal mit diesen Menschen an den Tisch setzen, und dann kann man sich seine eigene Meinung bilden! Das war der Grundgedanke. Eigentlich wollte ich diese Deutschlandreise im richtigen Leben machen und die Menschen vor Ort besuchen. Aber das ging wegen Corona zu der Zeit nicht. Deswegen war es dann eine digitale Deutschlandreise.
F!F: Du hast dich vorab in deiner Community umgehört, welche Themen unter den Nägeln brennen. Eins davon war der Feminismus. Mit welchen Anliegen haben die User:innen dir dazu geschrieben?
Louisa Dellert: Beim Thema Feminismus haben mir auch Männer geschrieben, die mehr dazu erfahren und das besser verstehen wollten. Aber es waren hauptsächlich Frauen, die mir ihre Geschichten und Erfahrungen geschildert haben: Die reichten von „wenn ich mit einem kurzen Rock über die Straße gehe, wird mir immer noch hinterher gepfiffen“ bis hin zu Themen wie Frauen in Führungspositionen oder Gendern. Da kam ganz viel zusammen, was Gleichberechtigung und eben Nicht-Gleichberechtigung angeht. So dass ich mir ein Bild davon machen konnte: Darüber sollten wir jetzt mal reden.
„Feminismus bedeutet erst mal: Das ist der Status quo. Wir wollen aber dahin, dass alle gleichberechtigt sind.“
F!F: Stellst du fest, dass „Feminismus“ negativ angehaucht ist? Du schreibst zum Beispiel, du nimmst es als Kompliment, wenn man dich „Turbo-Feministin“ nennt.
Louisa Dellert: Ich beobachte schon, dass der Diskurs sich da verschoben hat. Und es berechtigterweise Frauen gibt, die es mittlerweile leid sind, zu erklären, was Feminismus bedeutet, was auch intersektionaler Feminismus bedeutet…
F!F: …dass diskriminierende Erfahrungen von Frauen aufgrund ihrer Herkunft oder Religion ganz unterschiedlich sein können.
Louisa Dellert: Ja, und dass es deshalb wichtig ist, diese besonders zu betrachten.
Was man auch immer im Blick haben muss: Männer stehen in der Debatte ja eher negativ da und sind in der Geschichte des Feminismus auch ein Großteil des Problems. Deshalb muss man immer betonen: Männer können Teil der Lösung für mehr Gleichberechtigung sein! Was für sie auch entsprechende Vorteile haben kann. Feminismus bedeutet also erst mal: Das ist der Status quo. Wir wollen aber dahin, dass alle gleichberechtigt sind. „Turbo-Feministin“ heißt in diesem Zusammenhang nicht: Die nervt mit ihrer Gleichberechtigung.
F!F: Apropos: Eine 15-Jährige hat dir einen Kommentar zu einem Youtube-Video gezeigt: Feminismus existiere nur, um hässliche Frauen in die Gesellschaft zu integrieren.
Louisa Dellert: Wenn das so irgendwo in den sozialen Medien steht, übernehmen das natürlich auch viele junge Leute. Junge Männer haben dann gleich ein ganz falsches Bild vom Feminismus. Junge Frauen sind verunsichert: Was ist überhaupt Feminismus? Nervt das? Was soll ich da machen? Oder: Sind wir nicht alle gleichberechtigt? Ich glaube, dass solche Themen in die Schule gehören und früh besprochen werden müssen.
„Mir war gar nicht so bewusst, dass immer noch gilt: Das ist ein Männerberuf, und das ist ein Frauenberuf. Ja warum denn?“
F!F: Du hast dich für dein Buch auch mit zwei jungen Frauen getroffen: mit Kim, einer Informatikerin in der IT-Branche und mit Franzi, einer Fußballschiedsrichterin. Was ist dir in den Gesprächen vor allem klar geworden?
Louisa Dellert: Ich komme ja aus einer Handwerksfamilie, aber ich bin sehr digital unterwegs. Mir war gar nicht so bewusst, dass immer noch gilt: Das ist ein Männerberuf, und das ist ein Frauenberuf. Ja warum denn? Und wie werden dann entsprechend Frauen beispielsweise in der IT-Branche wahrgenommen? Oder umgekehrt Männer in der Pflege oder im Erziehungsbereich? Mir war gar nicht klar, dass diese Vorurteile und Bilder immer noch so aktuell sind. Ich dachte, damit haben wir doch schon abgeschlossen. Da war ich einfach zu wenig in diesen Lebensrealitäten. Deswegen waren die Gespräche für mich noch mal ein Augenöffner.
„Ich bin davon überzeugt, dagegen zu halten: Es ist mir egal, ob alle Männer so sind oder nicht!“
F!F: Kim und Franzi berichten von einem „sexistischen Grundrauschen“ bei der Arbeit. Oder dass ihnen weniger zugetraut wird als den männlichen Kollegen. Beschwichtigungen lauten dann: „War nicht so gemeint“ oder „Sind doch nicht alle Männer so…“ Was hältst du dagegen?
Louisa Dellert: Ich bin davon überzeugt, dagegen zu halten: Es ist mir egal, ob alle Männer so sind oder nicht! In diesem Fall hat mich das verletzt und in diesem Fall fühle ich mich nicht ernst genommen. Darüber müssen wir sprechen. Weil es einfach nicht hierher gehört und ich genauso einen Job mache, wie ihr es tut. Und auch dafür wahrgenommen werden und nicht auf mein Geschlecht reduziert werden möchte. Ich glaube, es ist ganz wichtig, deutlich zu sagen, wenn einen etwas stört. Und auf seine eigenen Bedürfnisse einzugehen. Natürlich sind nicht alle Männer so! Aber so lange wir immer noch dieses Denken in uns tragen und strukturell weitergeben, ist es einfach ein Problem. Und dieses Problem können wir nur lösen, wenn Männer Teil der Lösung sind.
F!F: Kims Arbeitgeber beteiligt sich an MINT-Aktionen an Schulen, mit denen Firmen auch Mädchen für naturwissenschaftliche Berufe gewinnen wollen. Aber wenn dann der Arbeitsalltag so aussieht, wie Kim ihn beschreibt, hilft so eine Maßnahme allein wenig.
Louisa Dellert: Ja, denn die Grundstruktur in der Firma und vielleicht in der Branche ist problematisch. Und es ist ja logisch, dass Kim sich mit ihren Problemen nicht gerne bei ihrem Chef meldet. A) weil der auch ein Mann ist und b) weil sie dann einfach Angst hätte, ihre Stelle zu verlieren. Für eine strukturelle Umstellung, für mehr Diversität sind also einerseits die Unternehmen gefragt. Andererseits die Politik. Da passiert ja jetzt auch etwas. Man darf natürlich nicht erwarten, dass alles von heute auf morgen klappt. Es ist ein Gesamtding: Wie denkt die Gesellschaft, wie handeln die Unternehmen, was tut die Politik, und was machen die Medien daraus? Wie stellen es denn Medien dar, wenn Kim als ITlerin arbeitet? Oder wenn das Handwerk beleuchtet wird? Wird dann in der Werbung immer nur ein Mann gezeigt oder auch mal eine Frau? Das sind alles so Kleinigkeiten. Ganz viele Schrauben, an denen man drehen kann und muss.
„Ich kann Teil der Lösung sein. Also tue ich mal was dafür!“
F!F: Du sagst, Inklusion muss von den Privilegierten kommen. Provokant gefragt: Warum sollten sie sich für Barrierefreiheit und Chancengleichheit einsetzen?
Louisa Dellert: Es geht ja erst einmal darum zu verstehen, was ein Privileg ist. Unser beider Privileg zum Beispiel ist, dass wir weiß sind. Auf einer anderen Ebene sind wir strukturell benachteiligt, weil wir Frauen sind. Es ist wichtig, das alles ein bisschen zu verstehen und zu erkennen: Ja, ich habe die Verantwortung – für uns, unsere Zukunft, unsere Kinder – dieses oder jenes Privileg zu nutzen! Wenn ich nicht im Rollstuhl sitze, kann ich Inklusion mitdenken – und mich mit meinem Auto eben nicht auf den Behindertenparkplatz stellen. Das ist ja ein Signal für Marvin im Rollstuhl: Die Leute nehmen mich mit in die Gesellschaft, ich bin kein Außenseiter. Ich hoffe, dass mein Buch hilft, solche Zusammenhänge besser zu begreifen, ohne sich gleich angegriffen zu fühlen: Ich kann Teil der Lösung sein. Also tue ich mal was dafür.
FIF: Digitale Gewalt ist auch ein gesellschaftliches Problem. Du selbst musstest sie schon oft aushalten.
Louisa Dellert: Gewalt ist im Internet Alltag, auch für mich. Je politischer ich bin, je mehr Werte ich vertrete, desto mehr digitalen Hass bekomme ich persönlich ab. Das auszuhalten ist manchmal nicht einfach, und ich brauche meine Auszeiten. Aber auch da wieder: Klar ist es wichtig, dass wir besser miteinander umgehen und verstehen, was ein bestimmter Kommentar oder eine Aussage mit einem Menschen machen kann. Aber auf der anderen Seite müssten auch Unternehmen, auf deren Plattformen digitale Gewalt stattfindet, viel mehr eingreifen. Verantwortung dafür übernehmen, dass Menschen, die ihre Tools nutzen und ihnen Geld bescheren, nicht mental krank werden. Und die Politik muss für solche Plattformen klare Grenzen ziehen, damit Bürger:innen geschützt werden.
„Wenn ich zu Talk-Runden eingeladen werde, frage ich, wie viele Männer da sitzen und wie viele Frauen. Und wie divers das Ganze ist.“
F!F: Du berätst Unternehmen oder Einzelpersonen bei der Nutzung von sozialen Medien. Wo fließen noch persönliche Erfahrungen oder Anliegen in deine Arbeit ein?
Louisa Dellert: Wenn ich zu Talk-Runden eingeladen werde, frage ich, wie viele Männer da sitzen und wie viele Frauen. Und wie divers das Ganze ist. Das binde ich mit ein. Oder ich habe einfach gelernt, mir nicht den Mund verbieten zu lassen oder einen Kommentar zu machen, wenn mir bei der Begrüßung kein Mann die Hand schüttelt. Oder wenn ich das Gefühl habe, nicht ernst genommen zu werden. Das sind so Erfahrungen, die ich für mich aufgegriffen und umgewandelt habe.
F!F: Du beweist viel Stärke in dem, was du machst. Hast du ein Vorbild, das dir Mut macht?
Louisa Dellert: Ich finde es immer schwierig zu sagen, ich habe ein Vorbild. Ich glaube, ich nehme aus ganz vielen Gesprächen, von ganz vielen Menschen etwas mit. Vom Inhaltlichen über die Gestik bis hin zu einem Lächeln, das jemand immer mit sich trägt. Bei meiner Familie, bei meinen besten Freunden und Freudinnen fühle ich mich geborgen, da tanke ich Energie.
F!F: Obwohl du dich mit vielen ernsten Themen beschäftigst, ist dir dein Lächeln nicht vergangen.
Louisa Dellert: Wenn wir nur noch frustriert sind, haben wir alle keine Lust mehr, etwas zu verändern. Deswegen ist das der Ansatz.
„Diversity heißt ja nicht nur unterschiedliche Hautfarbe, sondern aus unterschiedlichen Lebensrealitäten kommend.“
F!F: Womit fängst du an, wenn ein Unternehmen deinen Rat in Sachen Nachhaltigkeit sucht.
Louisa Dellert: Mit einer Bestandsaufnahme: Wie viele Menschen arbeiten hier, aus welchen Lebensrealitäten? Also haben wir hier zum Beispiel eine Mutter, jemanden, der nach Deutschland hinzugezogen, migriert ist, haben wir jemanden, der im Rollstuhl sitzt? Denn von diesen unterschiedlichsten Lebensrealitäten profitiert letztlich auch ein Unternehmen.
F!F: Nachhaltigkeit und Diversity gehören für dich also zusammen?
Louisa Dellert: Ja. Diversity heißt ja nicht nur unterschiedliche Hautfarbe, sondern aus unterschiedlichen Lebensrealitäten kommend. Und das Thema Nachhaltigkeit, Klimaschutz können wir nur gut begreifen und umsetzen, wenn alle mitdenken. Es nützt uns nicht, wenn das jemand aus einer privilegierten Brille heraus tut. Sondern da müssen alle mit am Tisch sitzen!
F!F: Damit wären wir wieder bei deinem Buch: Dankeschön, dass wir miteinander geredet haben.
Redaktion: Liane Borghardt
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